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Eine Orgel-Welt zum Erkunden

Die Orgelfreunde haben diese Orgeln für viele Jahre unterstützt. Nun sind sie auf Luzerner Orgelfreunde zuhause und unterstützen auch andere Projekte.
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Text zum Video von Jürg Rufer - Luzern im Juli 2023

Orgelgewitter in der Luzerner Hofkirche – wie es dazu kam

von

Wolfgang Sieber, ehem. Stifts- und Hoforganist zu St. Leodegar Luzern 1992–2021

Mit dem Bau offener 32'-Pfeifen in das Gesicht der Grossen Hoforgel erfolgte ein erster Paukenschlag, welcher die Besonderheit der Gewitter in der Hofkirche verkündete. Orgelmacher Hans Geisler aus Salzburg gelang 1651 das Wagnis, riesige Klangkörper bis zu zehn Metern Länge (sprich "klingende Pfeifen") mit definierbaren Tönen zu bauen. Sie tönen wie furchterregendes Donnergrollen. 200 Jahre später wirkten zwei weitere Visionäre in der Luzerner Hofkirche: Pater Leopold Nägeli, damaliger Stiftsorganist und Techniker sowie Orgelbauer Friedrich Haas, welcher die Orgeln im Berner und Basler Münster errichtete. Nägeli schaffte die politisch-formalen Voraussetzungen und Haas (dazumal schon mit Vater Joseph Heinrich, einem der legendären Vertreter der Dynastie Breitenbach im gedanklichen Austausch) erbaute auf eigene Kosten die Fernstation (Fernwerk unter dem freistehenden Dachstuhl des Mittelschiffes der Hofkirche) mit der einzigartigen Regenmaschine; sodass ab 1862 der akustische Regen durch die grösste der vier Deckenrosetten in das Kirchenschiff prasseln oder eben erklingen konnte.

Damit nahm Luzerns Orgelgewitter-Legende ihren Lauf, beschrieb doch Mark Twain 1880 in seinem fiktiv-satirischen Reisebericht A Tramp Abroad die Szenerie in der Hofkirche.

Sohn Franz Josef Breitenbach (Stiftsorganist 1889–1921) brachte dank täglicher Aufführungen die Orgelgewitter zu erster Popularität. Damit einher ging seine Gründung der Luzerner Organistenschule, die erste Institution dieser Art in der Schweiz. Wiederum Sohn Josef Breitenbach erfüllte einerseits als Stiftsorganist seinen kirchlichen Orgeldienst, spielte andererseits die Orgelgewitter und unterrichtete an seiner Luzerner Organistenschule. Unter anderen waren die Komponisten Fritz Brun - der "Brahms der Schweiz" - und Josef Garovi seine Schüler.

Die von den Breitenbachs gleich einer Personalunion gepflegte Orgelgewittertradition ward zur Marke: ihre "Ohrenspiele" standen in engem Zusammenhang mit ihren jeweiligen Orgelkonzerten, wurden zur Domäne. Das "Breitenbach'sche Orgelgewitter" gelang letztmals 1947 - der Originalpartitur folgend - zur Aufführung, wenige Male noch wurde die sorgsam verwahrte Gewittermusik Breitenbachs vom Komponisten und Organisten Josef Garovi 1967 konzertant dargebracht, 1970 sogar für das Label FONO-Gesellschaft Luzern (Edition Cron) eingespielt. Es wurde still und keine Gewitter fanden mehr statt: die eher zurückhaltende Einstellung damaliger Kirchenmusiker zu diesem gesellschafts-psychologischen Klangwerk bewirkte einen Marschhalt - bis ins Jahr 1993...

Am 1. Juni hob ich als neuer Stifts- und Hoforganist meine Komposition Thunderstorm & Organshower aus der Taufe: ein sanftes Gewitterwölklein zog auf und bedeckte den Himmel Jahr für Jahr mit neuen meteorologischen Szenerien. Gastorganisten spielten gewitterlich mit, Bernhard Billeter konzipierte und meisterte gar ein Neues Luzerner Orgelgewitter: unvergesslich! Johannes Geffert verlieh seiner CD-Einspielung an der Grossen Hoforgel den Titel Alpenfantasie und spielte teils verschollene musikalische Naturbilder ein. Einen Tag nach dem Kapell-Brücken-Brand (1993) performte Otto Jolias Steiner seinen Feuerabend mit brennender Weltkugel, der Grossen Hoforgel, Bildreportagen und Franz Liszts Prometheus. Schliesslich hinterlässt der Luzerner Schriftsteller Dölf Steinmann (1942-2009) aus seinem Erzählband Nachklang die umfassende Schilderung meines Orgelgewitters.

Der 2004 gegründete Verein der Orgelfreunde der Luzerner Hofkirche (heute Luzerner Orgelfreunde) förderte 2005 den öffentlichen Startschuss zum Mittagsgewitter, jeweils am Dienstag nach Zwölf mit Videoübertragungen ins Kirchenschiff, Helfenden im Hinter- und Vordergrund, Wegbegleitenden für die Interessierten auf die Orgelempore, gar hoch auf den Dachboden der Fernstation mit der Regenmaschine. Jährlich zogen tausende Gewitter- und damit auch Orgelbegeisterte in die Hofkirche. Ich spielte auch individuelle Orgelgewitter für Kinder, Betagte, private Gruppierungen aus Luzern, der Schweiz und dem Ausland. Der "Gewittererlös" unterstützte die Abendrezitals internationaler Organistenpersönlichkeiten und diese Mittagsgewitter bildeten das wirtschaftliche Herzstück für den Luzerner Orgelsommer, das Echofestival sowie weitere musikalische Veranstaltungen mit der "Grossen Hoforgel im Mittelpunkt".

Das nun wieder belebte Luzerner Orgelgewitter schaffte auch Offenheit für Innovatives. Dank Mithilfe von weiteren Orgelbegeisterten durfte ich meine Idee, die auf dem Dachboden der Hofkirche eingelagerten historischen Pfeifen in ein neues Teilwerk der Grossen Hoforgel einzubauen, realisieren. 2015 wurde das mit privaten Mitteln finanzierte Echowerk in den vorderen Altarbezirk der Hofkirche eingebaut und mit dem ECHO-Festival feierlich eingeweiht. Diese neu entstandene Klangarena ermöglicht mittels räumlichen, dynamischen und farblichen Feinheiten den Auro-3D-Klang. Dieses akustische Ausnahmeereignis - gepaart mit passender Musik - verschaffte der Grossen Hoforgel ihren Platz im öffentlichen Leben: Werke von Reger, Franck, Messiaen, Eben gelangen integral zur Aufführung, Einspielungen von Mendelssohn, Hakim, Langlais, Rütti, Sieber wurden realisiert und Konzerte mit Gregorianik, Volksmusik, Funk, Rapp, immer wieder unter Einbezug der Regenmaschine mit der Grossen Hoforgel, ermöglichten allen Menschen das Musikerlebnis im Kirchenraum.

Das über Jahre andauernde Zusammenspiel erlebnisnaher Alltags- und Naturbilder mit der Orgelmusik, die verbindenden Wort- und Videobeiträge zum Zeitgeschehen (das Orgelgewitter zum Gedenken an Polo Hofer wurde in berndeutscher Sprache moderiert) führten die Grosse Hoforgel hinaus in die Weiten menschlicher Phantasien und Träume: eigentlich ist es schon ein ausserordentlicher Tresor, diese grosse Kiste!

Mein Nachfolger Stéphane Mottoul führt diese Orgelgewitter-Tradition in seinem Orgelsommer weiter.

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